Im Artikel «Wie sehr soll sich die Kirche öffnen?» (Quelle: NZZ.ch 18.7.2017) sind laut einer Erhebung in der Schweizer Bevölkerung zirka 68 % Mitglied einer christlichen Kirche. Die NZZ sieht darin in erster Linie Menschen, deren Bezug sich auf Taufe, Firmung / Konfirmation, Hochzeit und Beerdigung beschränken. Klar ist: Wer Mitglieder verliert, muss etwas dagegen unternehmen. Doch was zu tun ist, ist oft unklar.
Was bedeutet Kirche eigentlich?
Die Schweiz gilt als christliches Land. Christen orientieren sich an biblischen Grundwerten, und diese Weisheiten sind bereits Jahrhunderte alt. Die Bibel entstammt zudem einer Kultur, die der unsrigen sehr fremd ist. Und diese Bibel bildet nun die Grundlage, um uns modernen Menschen vorzuschreiben, was wir zu glauben und wie wir zu handeln haben? Genau das ist der Auftrag der Kirche: Das Vermitteln von christlichen Werten.
Dass Tipps und Gesetze unterschiedlich ausgelegt werden, ist nichts Neues. Das fängt beim Einhalten von Nachtruhe bis hin zu Littering und dem ehrlichen Ausfüllen der Steuererklärung an. Wir haben unsere eigenen Grenzen entwickelt, sprich, wir dehnen gewisse Punkte dann und wann ein wenig aus. Wir wollen Freiheit. Auf fehlendes Verständnis folgen Austritte. Leere Kirchenbänke nehmen zu.
Was sagen die NZZ-Leser auf die Frage, was die Kirche verändern sollte.
Leserdebatte: Das schreiben die NZZ-Leser – Beispiele
- «Wenn ein Glaube viele Jahrhunderte überdauern soll, darf man seine Grundlage (Bibel, Koran, Tora, … ) nicht dem Zeitgeist anpassen. Genau so wenig werden sich tief gläubige Menschen (Christen, Muslime, Juden,…) dem jeweiligen Zeitgeist anpassen können.»
- «Die Kirche soll sich öffnen? Sie ist offen. Keine Zäune, keine Mauern. Aber mit ‚öffnen‘ meint man vermutlich eher eine ‚Modernisierung‘ der Glaubensinhalte. Eingestehen, dass sich Gott halt zweitausend Jahre lang geirrt hat und dies nun korrigiert wird. Wenn die Kirche zur zeitgeistigen Beliebigkeit mutiert, wird sie mit Sicherheit ihre letzten ‚Gläubigen‘ verlieren.»
- «Man kann alle weltlichen Dinge aufgreifen und so die Kirchen füllen. Aber das hat dann nichts mehr mit Kirche zu tun. Die Kunst besteht eben darin, den Glauben und die Tradition als wertvolle und unverwechselbare Merkmale zu bewerben. Aber genau das gelingt den Kirchen seit Jahrzehnten nicht.»
Anpassen oder nicht. Man ist sich nicht einig. Vielleicht weil die Bibel ganz individuell verstanden und ausgelegt wird. Ein gemeinsamer Konsens, wie die Kirche nun reagieren soll, ist aus den Lesermeinungen nicht zu entnehmen. Oft geht es darum, wer recht hat.
Weitere mögliche Gründe für den Mitgliederschwund
Die Beatles, Tina Turner, Albert Hammond und viele mehr haben ihre Gesangskarriere im Kirchenchor angefangen oder sind zu Kirchenfesten gegangen. Warum? Weil das Angebot zur damaligen Zeit noch äusserst begrenzt war. Möglich, dass auch früher viele Menschen gar nie auf das Angebot der Kirche zugegriffen hätten, wenn mehr Alternativen vorhanden gewesen wären.
Kirche wirkt – oft im Hintergrund
Viel freiwillige Arbeit – zum Beispiel für Bedürftige – geschieht im Hintergrund, ohne dass diese Hilfeleistungen jemals publik werden. Ein Beispiel zeigt die nachfolgende Grafik des BFS. Es ist anzunehmen, dass der Anteil an Menschen mit christlicher Ausrichtung den sozial –karitativen Organisationen ebenfalls gross ist.
Muss der Wert der Kirchen, bzw. der Wert von deren Produkt, dem Glauben, an den Kirchenmitgliederzahlen gemessen werden? Glaube ist mitunter etwas ganz Persönliches, das, wird es plakativ demonstriert, an Wert und Überzeugung verliert.
Radio, TV, Podcast, Web: Vermitteln von christlichen Werten mit modernen Medien
Im Artikel «Bald glaubt in der Schweiz nur noch eine Minderheit an Gott» (NZZ Dez. 2014) steht: «Der Niedergang der Religiosität bedeutet aber nicht, dass der Glaube in der heutigen Gesellschaft an Bedeutung verloren hat.» Er äussere sich in anderen spirituellen Formen, weit weg von starren Riten der klassischen Religionen. Die neuen Formen des Glaubens seien unverbindlich und erfüllten den Wunsch nach Individualität.
Natürlich ist die Mitgliederzahl wichtig. Man bedenke aber, dass die Digitalisierung es heute ermöglicht, sich zu Hause oder von unterwegs aus, mit christlichem Gedankengut auseinander zu setzen. Anonym. «Im stillen Kämmerlein» sozusagen. Eine Zugehörigkeit, um zu «geistlicher Nahrung» zu kommen, ist nicht mehr zwingend nötig. So kann man sich zum Beispiel via Fernsehen (FENSTER ZUM SONNTAG) oder Radio (Life Channel), christlicher Podcast, via Internet (Christliche-Werte.ch) rund um die Uhr über Glaubensthemen informieren. Ein Treffen mit Gleichgesinnten kann auch unter der Woche stattfinden. Auch öffentliche Radioanstalten wie die ARD (Was glaubt Deutschland?) oder die SRG (Sternstunde Religion) thematisieren Glaubensfragen. Sogar Theologie Ausbildung passiert online.
… und die Gemeinschaft?
Christen leben Gemeinschaft. Das ist eine Grundhaltung. Der sonntägliche Besuch des Gottesdienstes hat langjährige Tradition. Leere Bänke ermutigen keine Gruppierung. Leere Bänke sind ein Zeichen von anderem Handeln. Allerdings kann man sich durchaus auch in der Freizeit in kleineren Gruppen treffen.
Die Suche nach neuen Formen ist ein Auftrag für jede Kirche. Ob sie damit allerdings den Inhalt verändern muss, sei dahingestellt. Inhalt hat mit Überzeugung zu tun. Die darf sich entwickeln, muss aber nicht von Grund auf erneuert werden. Ein Beispiel für eine neue Form zeigt die reformierte Kirchgemeinde Zürich-Sihlfeld. Diese hat seit September 2016 den Gottesdienst am Sonntagmorgen gestrichen. Neu findet er am Freitagabend unter dem Namen «FeierWerk» statt. Der Name ist ein Wortspiel aus Feierabend und Feuerwerk.
Ein Gesinnungswechsel bringt auch neue Gottesdienstformen mit sich. Bei denjenigen, die nichts an der Überzeugung verändern wollen und trotzdem auf die Zielgruppe und deren Bedürfnisse ausgerichtet sind.