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News Menschlichkeit in Psychiatrie und Kinderpsychiatrie

Menschlichkeit in Psychiatrie und Kinderpsychiatrie

Wie steht es um unsere Psychiatrie und Kinderpsychiatrie? Können wir oft festgefahrenen Schweizer von anderen Kulturen lernen? Ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit.

Die Themen im Überblick:

Menschlichkeit in Psychiatrie und Kinderpsychiatrie
Mehr Menschlichkeit in der Kinderpsychiatrie

Der auffallend andere Umgang mit emotionalen Verletzungen

In ihrem Buch «Ich schwimme nicht mehr da, wo die Krokodile sind» beschreibt Sabine Kuegler ein äusserst spannendes Phänomen: Beim Urwaldstamm der Fayu, wo sie als Missionarstochter aufwuchs, wurde jedes körperliche Leiden, jede Krankheit oder Verletzung ignoriert. 

Nur die Starken konnten im Dschungel überleben, die Schwachen wurden links liegen gelassen. Ganz anders gingen die Fayu mit emotionalen Verletzungen um. 

War jemand traurig, weil ein geliebter Mensch gestorben war, oder musste jemand eine traumatische Erfahrung machen, wichen die Menschen, die ihm am nächsten standen, nicht von seiner Seite. Man kochte für sie, sprach und weinte mit ihnen und tröstete sie, egal wie lange es dauerte. Man schaute nicht auf sie herab oder hielt sie für schwach. Selbst wenn es Wochen oder Monate dauerte, sie wurden in einen Kokon emotionaler Unterstützung gehüllt, bis sie sich vollständig erholt hatten.

In unserer Kultur verhält es sich eher umgekehrt. Wir sind primär auf die Heilung und Linderung von körperlichen Krankheiten und Leiden ausgerichtet und wissen sie mit verschiedenen Medikamenten und anderen Therapien zu heilen. 

Was wir eher links liegen lassen, sind emotionale Leiden. 

Mit einem körperlichen Problem holen wir uns ganz selbstverständlich Hilfe, bei psychischen Leiden ist die Hemmung viel stärker. In unserer Welt müssen wir, im Gegensatz zum Dschungel, emotional stark sein. Man muss sich behaupten und durchsetzen können. Nur keine Schwäche zeigen und schon gar keine emotionale.

Unsere Psyche leidet in dieser Gesellschaft.
Unsere Psyche leidet in dieser Gesellschaft.

Psychische Probleme nehmen zu

Diese Haltung bleibt nicht ohne Folgen. Psychische Probleme nehmen zu – auch bei Kindern und Jugendlichen. Der Leistungsdruck ist bereits in jungen Jahren enorm, die zwischenmenschliche Verbundenheit sinkt. Fehlende Zeit, fehlende Kraft, fehlende Motivation vielleicht, da fehlendes Bewusstsein. 

Und Beziehungen in Bildschirmqualität haben niemals den gleichen Effekt wie die von Mensch zu Mensch. 

Da klickt einander nicht einfach weg. Da ist Präsenz spürbar, gegenseitig – hoffentlich.

Durch die starke zwischenmenschliche Verbundenheit in ihrer Kindheit lernte Sabine Kuegler, die emotionalen Narben, Verletzungen und Schmerzen ihrer Mitmenschen wahrzunehmen. Sie so zu sehen, als seien sie äusserliche Wunden. Als sie mit 17 Jahren ziemlich unvorbereitet nach Europa kam, verstand sie die Welt nicht mehr. 

Wie die Menschen hier versuchten, ihren emotionalen Schmerz vor den anderen zu verbergen. Am meisten verwirrte sie, wie wir westlichen Menschen oft etwas anderes sagen, als es unserem Inneren entspricht. 

Manchmal ohne es überhaupt selbst zu merken. Dem Urwaldkind sprang diese Tatsache sofort ins Auge. Natürlich können wir jetzt nicht einfach alle auf Dschungel machen, das ist völlig klar.

Unsere Kultur ist völlig anders aufgebaut. Aber vielleicht könnten wir versuchen, uns ein bisschen mehr von innen her wahrzunehmen.

Unsere Psyche: vielseitig, tiefgründig mit unterschiedlichen Auswirkungen
Unsere Psyche: vielseitig, tiefgründig mit unterschiedlichen Auswirkungen

Annäherung von zwei Welten

Kinder haben einen ganz natürlichen Zugang zu ihrer inneren Welt. Bis unser Bildungssystem, das hauptsächlich den Intellekt fördert, es ihnen mehr und mehr abtrainiert. Fehlt eine innere Stabilität und kommen vielleicht noch andere ungünstige Umstände dazu, wie beispielsweise der Verlust von nahestehenden Personen, kann sich eine psychische Erkrankung entwickeln.
Die menschliche Psyche verträgt viel und kann sich an die schwierigsten Umstände anpassen, doch irgendwann ist das Mass voll. So wie unsere Psychiatrien. Diese Tatsache spricht eine klare Sprache.

Was unsere Psychiatrien brauchen

In den Jobs unserer Psychiatrien sind Menschen mit Herz und Verstand gefragt. Und ein Verständnis, dass es nicht nur um Funktionieren und Leisten gehen darf. Gerade bei Menschen mit psychischen Erkrankungen! Wir Menschen leben hauptsächlich von Beziehungen. Lernen wir kein gesundes Beziehungsverhalten, müssen wir das irgendwie kompensieren.
Mit Anpassung, mit Mundwerk und Ellenbogen, mit Essen oder Hungern, mit Substanzen, Status, Geld etc.
Die Bezeichnung Workaholiker beispielsweise verstehen wir doch schon fast als Auszeichnung anstatt der Beschreibung eines dysfunktionalen Verhaltens. Vielleicht «landen wir in der Psychiatrie». Oder unsere Nächsten. Wahrscheinlich sind Medikamente dann nicht die optimale Lösung. Einfach, um dafür zu sorgen, dass wir möglichst schnell wieder funktionieren.
Manchmal geht es nicht ohne Psychopharmaka, aber das Ziel soll immer ein gesundes Beziehungsverhalten sein. Und das beginnt bei sich selbst. Beim ABC des Menschseins. Da gibt es keine Abkürzungen.

Was braucht unsere Kinderpsychiatrie?

Auch unsere Kinderpsychiatrien sind voll. Auch hier mangelt es an Pflegeplätzen und ausgebildeten Fachpersonen. In den Bereichen Psychiatrie und Kinderpsychiatrie gibt es Berufe mit Sinn. Jobs für engagierte PsychiatriepflegerInnen bzw. Fachmänner und Fachfrauen in psychiatrischer Pflege, wie es heute heisst. Hier sind Lehrstellen für Berufe mit Zukunft zu finden. Das Handwerkszeug lernen, um vulnerable Menschen zu unterstützen. Sich einbringen für eine gesunde Gesellschaft.
Damit psychisch angeschlagene Kinder und Jugendliche noch möglichst früh lernen, auch «da zu schwimmen, wo keine Krokodile sind».
© schweiz-kantone.ch, Autorin: Tabea Räber, arbeitet seit über 20 Jahren im Gesundheitswesen.

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